· Pressemitteilung

Sachsen-Anhalter wird Bundesleiter der Bergwacht: Heiner Jentsch übernimmt Spitzenamt

Im Mai wurde Heiner Jentsch aus Halberstadt zum neuen Bundesleiter der Bergwacht gewählt – und setzte sich dabei überraschend gegen Kandidaten aus den Bergwacht-Hochburgen Bayern und Baden-Württemberg durch. Wer ist dieser engagierte Halberstädter Angestellte, der künftig die Richtung im Bergrettungswesen vorgibt – und welche Ziele verfolgt er an der Spitze der Organisation? In diesem Interview wollen wir ihn etwas besser vorstellen.

Was hat Sie persönlich zur Bergwacht gebracht?

Man könnte sagen: Ich bin in die Bergwacht hineingewachsen. Unsere Gruppe in Halberstadt hat sich 1954 gegründet, mein Vater kam 1955 dazu, meine Mutter etwa ein Jahr später. Für mich war das Bergwachtleben also von klein auf präsent – ein Stück Familienalltag.

Nach dem Studium in Dresden bin ich Anfang 1989, also direkt zur Wendezeit, zurück nach Halberstadt gekommen. Die gesellschaftliche Aufbruchstimmung hat sich auch in der Bergwacht gespiegelt. Plötzlich gab es Möglichkeiten, Strukturen mitzugestalten, Ideen einzubringen. Das war für mich als junger Mensch sehr motivierend.

Seit den frühen 1990ern war ich dann in der Leitung der Gruppe Halberstadt aktiv – und später, von 2010 bis 2022, als Landesleiter der Bergwacht Sachsen-Anhalt. Die Verbindung zur Bergwacht war immer auch emotional – ein Teil von mir.

Häufig hört man von der besonderen Verbundenheit der Kameradinnen und Kameraden in der Bergwacht. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Ich glaube, das hat viel mit der Art unserer Einsätze zu tun. Wer gemeinsam bei Wind und Wetter im unwegsamen Gelände unterwegs ist, muss sich blind aufeinander verlassen können. Da entstehen Bindungen, die weit über den Einsatz hinausgehen.

Man lernt sich in Ausnahmesituationen kennen – mit allen Stärken, aber auch mit Schwächen. Und genau das schweißt zusammen. Diese Art von Vertrauen entsteht nicht über Hierarchien oder Vorschriften, sondern durch gemeinsam erlebte Verantwortung. Das schafft eine ganz eigene Kultur – geprägt von Verlässlichkeit, Respekt und einem sehr ehrlichen Miteinander. Und das ist ein großer Schatz, den es zu bewahren gilt – gerade, wenn wir neue Leute gewinnen und mitnehmen wollen.

Stichwort Nachwuchsgewinnung: Wie sieht es diesbezüglich bundesweit aus – und wie ist die Situation speziell in Sachsen‑Anhalt?
Nachwuchs zu gewinnen ist bundesweit herausfordernd, bei uns in Sachsen-Anhalt ganz besonders. Der Weg zur aktiven Einsatzkraft ist anspruchsvoll – mit einem bundesweit einheitlichen Ausbildungssystem, das Zeit und Engagement erfordert. Notfallmedizin, Technik, Geländepraxis – das braucht Know-how, Ausbilder und viele Wochenenden. Manche lassen sich davon abschrecken. Für uns sichern diese bundesweiten Vorgaben die Qualität – machen es neuen Interessierten aber nicht immer leicht, den Einstieg zu finden.

Erfolg haben wir vor allem mit zwei Gruppen: jungen Menschen, die wir über Klettern oder Bergsport ansprechen – und Menschen, die nach Ausbildung, Berufseinstieg oder Familiengründung in ihrem Lebensumfeld ankommen und eine sinnstiftende Aufgabe suchen. Für sie wollen wir den Einstieg besser gestalten, ohne an Qualität zu verlieren.

Was ist die häufigste Art von Einsätzen für die Bergwacht?
Klassisch handelt es sich bei unseren Einsätzen um rettungsdienstliche Lagen – also Situationen, in denen eine Person verletzt oder erkrankt ist und das Gelände aus eigener Kraft nicht mehr verlassen kann.

Typisch ist der Wanderer, der auf nassem Stein ausrutscht, sich eine Hand- oder Unterarmfraktur zuzieht oder mit einer Sprunggelenksverletzung liegenbleibt. Auch Luxationen oder Kreislaufprobleme kommen vor. In den letzten Jahren sehen wir außerdem deutlich mehr Einsätze mit Mountainbikern – teils durch technische Defekte, teils durch Selbstüberschätzung. In all diesen Fällen gilt: Es braucht eine schonende Rettung in unwegsamem Gelände – genau dafür sind wir ausgebildet.

Fast täglich berichten die Medien über Unfälle in den Bergen – beim Wandern, Klettern oder auf Hochtour. Welche Tipps gibt es für Bergsportler, worauf sie bereits vor dem Start ihrer Tour achten sollten?

Viele unterschätzen, was schon vor der eigentlichen Tour entscheidend sein kann. Etwa, dass sich in den Bergen der Wasserbedarf deutlich erhöht – ebenso wie die UV-Strahlung. Beides kann das Risiko für hitzebedingte Gesundheitsprobleme wie Sonnenstich oder Dehydrierung deutlich erhöhen.

Dabei ließe sich vieles durch einfache Vorbereitung vermeiden. Es geht nicht um große Maßnahmen, sondern um bewusstes Planen: Wo will ich hin? Wie sieht die Route aus? Welche Bedingungen erwarten mich dort? Wer sich das vorher überlegt, kann entsprechend vorsorgen – zum Beispiel mit einem Sonnenhut, ausreichend Wasser und einem stärkeren Sonnenschutz.

Im Mai 2025 wurden Sie zum Bundesleiter der Bergwacht gewählt – als Vertreter aus Sachsen-Anhalt und gegen Mitbewerber aus großen Landesverbänden wie Bayern oder Baden-Württemberg. Kam diese Wahl für Sie überraschend?
Ein wenig überrascht hat es mich tatsächlich – aber natürlich auch wahnsinnig gefreut. Es war ein starkes Zeichen des Vertrauens, gerade weil ich nicht aus einem der großen, etablierten Landesverbände komme.

Welche Aufgaben und Themen kommen jetzt auf Sie als Bundesleiter zu?
Als Bundesleiter leite ich den Bundesausschuss – das zentrale Gremium, in dem alle Landesverbände vertreten sind. Dort werden gemeinsame Linien abgestimmt, Positionen entwickelt und Weichen für die Zukunft gestellt. Ich verstehe meine Rolle dabei weniger als Richtungsgeber mit fertigem Plan, sondern vielmehr als Moderator und Impulsgeber.

Mir ist wichtig, zuzuhören: Welche Herausforderungen bewegen die Landesverbände gerade? Wo gibt es Unterstützungsbedarf, wo gute Ansätze, die wir gemeinsam weiterdenken können? Es geht darum, das Wissen und die Erfahrung aus der Fläche zu bündeln und gemeinsam zukunftsfähige Lösungen zu erarbeiten.

Die Bergwacht ist Teil des Katastrophenschutzes in Deutschland. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?
Das Einsatzgeschehen hat sich in den letzten Jahren verändert. Der Harz zum Beispiel ist längst kein ausschließliches Wochenendziel mehr – das hohe Besucheraufkommen bringt auch werktags Einsätze mit sich.

Das heißt, unsere ehrenamtlichen Kameradinnen und Kameradinnen müssen viel häufiger auch unter der Woche von der Arbeitsstelle direkt in den Einsatz. Während Ehrenamtliche der Feuerwehr oder des Technischen Hilfswerks (THW) im Notfall ihren Arbeitsplatz sofort verlassen dürfen, um zur Einsatzstelle zu eilen, gilt dies nicht für ehrenamtliche Kräfte des DRK – etwa der Bergwacht, Wasserwacht oder Bereitschaften –, wenn ihr Einsatz nicht offiziell als Katastrophenschutzmaßnahme eingestuft ist. 

In solchen Fällen müssen DRK-Helfer mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen, sollten sie ihren Arbeitsplatz eigenständig verlassen. Diese rechtliche Unsicherheit führt dazu, dass wertvolle Minuten verstreichen, bevor qualifizierte Hilfe am Einsatzort eintrifft.

Wir setzen uns seit Langem für eine Gleichstellung der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer bei Einsätzen auch außerhalb des formellen Katastrophenschutzes ein. Auch außerhalb des Katastrophenschutzes sollte es klare Regelungen geben, die eine Gleichbehandlung aller Helfenden ermöglichen und so die Einsatzbereitschaft und Effizienz im Notfall stärken.